Zur Bedeutung der Kulturbranche für eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit

Der Kultursektor befindet sich im Wandel: Globalisierung und Diskussionen um die Rückgabe von Kulturgütern (Chambers et al. 2014), Digitalisierung und die Bewältigung von Krisen, die Anschläge auf Kunstwerke von Klimaschutzaktivisten und Nachhaltigkeitsanforderungen. Diese Dynamik hat eine Vielzahl von Netzwerken, Projekten und konkreten Aktivitäten hervorgebracht.

Zeitweise erscheint es jedoch so, als ob die Umsetzung von Nachhaltigkeit im Kultursektor ohne einen gemeinsamen diskursiven Bezugsrahmen stattfindet. Es ist daher angezeigt, einen Schritt zurück zu treten, und darüber zu reflektieren, welche Bedeutung Kultur für den Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit zukommt.

Kultur als Praxis der Transformation

Eine Auffassung von Kultur als Praxis (Reuter and Hörning 2004) umfasst auch, dass eingeübte Umgangsweisen und Alltagshandeln als das Praktizieren von Kultur verstanden werden. Kultur, Kreativwirtschaft und Kunst haben somit für den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der Gesellschaft eine grundlegende Funktion. Vor dem Hintergrund eines solchen praxisorientierten Kulturbegriffs wird deutlich, dass nachhaltige Kultur die grundlegende Voraussetzung einer gelingenden Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit ist.

Der Kulturwirtschaft kommt damit eine wichtige Bedeutung zu, denn sie kann aktiv dazu beitragen, neue nachhaltige Alltagspraktiken zu erdenken und umzusetzen. Wenn dem Kultursektor diese zentrale Rolle zukommt, stellt sich jedoch die Frage, was die spezifischen Potenziale von Kultur sind, um Nachhaltigkeit zu unterstützen: Wie können Kulturschaffende und Kulturinstitutionen die größte Wirksamkeit für eine Große Transformation entfalten?

Kultur zwischen Anwaltschaft und Autonomie

Zahlreiche Nachhaltigkeitsinitiativen im Kultursektor betonen die negativen Wirkungen von Kulturinstitutionen, bspw. den enormen Energieverbrauch von musealen Depots, und fokussieren in Ihren Aktivitäten damit auf eine ökologische Effizienzsteigerung des Kulturbetriebs selbst.

Im Gegensatz zu einer Optimierung der internen Prozesse, also des Betriebs, ist jedoch der wichtigste Aspekt, um eine Transformation Richtung Nachhaltigkeit zu unterstützen, eine Orientierung nach Außen, also der Blick auf gesellschaftliche Wirkungen (Janes and Sandell 2019). Der Schlüssel zur Wirksamkeit der Kulturbranche liegt in einer Anwaltschaft (Advocacy) oder in Aktivismus (Activism) für Nachhaltigkeit.

Eine solche Politisierung des Kulturbetriebs (Gray 2015) birgt zahlreiche Herausforderungen: Dies beginnt bei offensichtlichen Konsequenzen für häufig mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtungen und endet nicht bei der Frage der Autonomie der Kunst: Der Wert von kreativer Praxis und kulturellen Institutionen liegt nicht zuletzt darin, einen offenen Diskursraum zu bieten, in dem Pluralismus und Zweckfreiheit möglich und geschätzt sind.

Die Kulturbranche wird dann zu einem zentralen Treiber von Nachhaltigkeit, wenn Sie ihre Bedeutsamkeit für die Transformation be-greift und die mit einem quasi-politischen Engagement verbundenen Dilemmata annimmt und daraus kreativ eine Kultur der Transformation entwickelt.

 

Anmerkung

Dieser Beitrag ist eine deutsche Version der Einleitung zur Schwerpunktausgabe der Zeitschrift ÖkologischesWirtschaften zum Thema „Kultur und Nachhaltigkeit“, die Anfang Dezember 2022 im oekom Verlag erscheint.

 

 

Literatur

Chambers, Iain/Angelis, Alessandra de/Ianniciello, Celeste (Eds.) (2014). The postcolonial museum. The arts of memory and the pressures of history. Farnham/Burlington, VT, Ashgate. DOI: https://doi.org/10.4324/9781315554105

Gray, Clive (2015). The Politics of Museums. Basingstoke, Palgrave Macmillan. DOI: https://doi.org/10.1057/9781137493415

Janes, Robert R./Sandell, Richard (Eds.) (2019). Museum activism. London, Routledge. DOI: https://doi.org/10.4324/9781351251044

Reuter, Julia/Hörning, Karl H. (2004). Doing Culture: Kultur als Praxis. In: Julia Reuter/Karl H. Hörning (Eds.). Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis. Bielefeld, transcript Verlag, 9–16. DOI: https://doi.org/10.14361/9783839402436